Auf der Suche nach der verlorenen Zeit – Band 1: Unterwegs zu Swann by Marcel Proust

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit – Band 1: Unterwegs zu Swann by Marcel Proust

Autor:Marcel Proust [Proust, Marcel]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-518-45641-5 (Band 1)| 978-3-518-74260-0 (Gesamtausgabe Bände 1–7)
Herausgeber: Suhrkamp Verlag KG
veröffentlicht: 2009-12-31T16:00:00+00:00


Von nun an wurde dieser Salon, in dem Swann und Odette sich vordem getroffen hatten, ihren Begegnungen hinderlich. Sie sagte nicht mehr zu ihm wie in der ersten Zeit ihrer Liebe: »Wir sehen uns auf alle Fälle morgen, Verdurins geben ein Souper«, sondern: »Morgen abend können wir uns nicht sehen, Verdurins geben ein Souper.« Oder Verdurins hatten vor, Odette zur Opéra-Comique in Une nuit de Cléopâtre 1 mitzunehmen, und Swann las in ihren Augen jene Herzensangst, er könne sie bitten, nicht mitzugehen, die ihn früher unwiderstehlich verlockt haben würde, sie rasch vom Antlitz der Geliebten wegzuküssen; jetzt aber irritierte sie ihn. Und dennoch, sagte er sich, ist es nicht etwa Groll, was ich empfinde, wenn ich sehe, wie groß ihre Lust ist, in dieser mistigen Musik herumzupicken. Kummer ist es, nicht meinetwegen, sondern ihretwillen; der Kummer, mitansehen zu müssen, wie sie nun mehr als ein halbes Jahr täglich mit mir zusammen war und sich nicht einmal so weit geändert hat, daß sie von sich aus diesen Victor Massé ausscheidet! Sie hat auch nicht begriffen, daß es Abende gibt, an denen ein Wesen von einigem Zartgefühl auf ein Vergnügen verzichten muß, wenn es darum gebeten wird. Sie müßte auch einmal sagen können: »ich komme nicht mit«, und wenn es aus Klugheit wäre, denn von ihrer Antwort hängt es ja ab, wie man ein für allemal ihre seelischen Eigenschaften einstuft. Und wenn er sich dann selbst überredet hatte, daß er, einzig um über Odettes geistigen Wert ein günstigeres Urteil fällen zu können, gewünscht hätte, sie bliebe bei ihm, anstatt in die Opéra-Comique zu gehen, versuchte er es bei ihr mit der gleichen Argumentation, die er sich selbst gegenüber angewendet hatte, und auch dem gleichen Maß an Unaufrichtigkeit, einem größeren sogar, denn jetzt wollte er auch sie bei ihrer Eigenliebe fassen.

»Ich schwöre dir«, sagte er ein paar Minuten, bevor sie zum Theater aufbrach, »als ich dich bat, nicht auszugehen, wünschte ich mir für mich selbst von Herzen, du würdest ablehnen, denn ich habe heute abend tausend andere Dinge vor, und es wäre für mich sehr schwierig und eher ärgerlich gewesen, wenn du entgegen allen Erwartungen geantwortet hättest, du gingest nicht. Aber es kommt ja nicht nur auf meine Pläne und Vergnügungen an, ich muß auch an dich denken. Du erlebst vielleicht eines Tages, daß ich mich für immer von dir trenne, und dann würdest du mir mit Recht einen Vorwurf daraus machen, daß ich dich nicht in den entscheidenden Stunden gewarnt habe, wo ich fühlte, daß ich drauf und dran war, über dich eines jener gestrengen Urteile zu fällen, denen die Liebe nicht lange standhält. Siehst du, Une nuit de Cléopâtre (was für ein Titel!) spielt dabei an sich gar keine Rolle. Was ich aber wissen muß, ist, ob du wirklich auf einer so niedrigen geistigen Stufe stehst, ob du ein so schändliches Wesen bist, so untergeordnet in jedem Sinne, daß du auf ein Vergnügen nicht verzichten kannst. Wenn das so ist, wie könnte man dich dann lieben, denn dann bist du ja



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